Weniger denken - mehr fühlen
Vor zwei Tagen bin ich aus dem Urlaub mit meiner Familie zurückgekommen. Es waren zwei wunderschöne, aber auch anstrengende Wochen, die ich mit ihnen in den USA, genauer gesagt in New York und auf Long Island verbringen durfte und ich bin sehr dankbar für die vielen Eindrücke, die ich gewonnen habe und sammeln durfte. Außerdem habe ich im Urlaub immer ein ganz eigenes Gefühl gehabt, das ich gerne festhalten würde.
Es ist nicht so einfach, in eine Familiendynamik zurückzukehren, die auf viele verschiedene Weisen dysfunktional ist. Mir kommt in meiner Familie die Aufgabe zu, bestimmte Stimmungen auszugleichen und vor allem bei der Planung der Tage nachzugeben, wenn es darum geht, was man gerne unternehmen würde. Ich habe mir gar nicht mehr überlegt, auf was ich eigentlich Lust hätte, sondern passe mich automatisch immer an und plane höchstens noch eine Zeit für mein Training ein, wenn es den anderen ebenfalls in den Zeitplan passt. Die allermeiste Zeit aber fühlt sich wie eine Verpflichtung an, und erst, wenn ich diese absolviert habe, beginne ich, etwas freier zu denken und kann Gefühle eher zulassen. Das geht mir auch zuhause so - ich sehe, egal ob ich nun arbeite, frei habe oder auf die Uni gehe - die meiste Zeit als eine Pflicht an, die mir schwer fallen sollte und mit der ich mir dann Entspannung verdienen kann. Alles fühlt sich dadurch wie ein “Muss” an und ist nicht nur anstrengend und mühsam, sondern auch demoralisierend, weil ich verinnerlicht habe, dass es so sein muss und nicht anders sein kann oder darf. Mir ist aber im Urlaub ein anderes Gefühl untergekommen, wenn ich das Verhalten meiner Familienmitglieder beobachtet habe. Diese haben nämlich, wie es im Urlaub sein sollte, keinen Stress oder Leistungsdruck verspürt. Im Gegenteil: sie WOLLTEN zwar sehr wohl verschiedene Dinge besichtigen, erleben oder sich anschauen gehen, jedoch nicht, weil sie es mussten. Sie gingen nach ihrem Gefühl, nach ihrer Laune, und konnten so auch kurzfristig Dinge unternehmen oder eben auch nicht. Ich hingegen tendiere dazu, alles zu überdenken und planen zu wollen, um es dann wie eine To-do-Liste abhaken zu können und nicht etwa, weil ich es tun wollte oder Lust dazu hatte. Und wenn ich eine solche verspüre, dann unterdrücke ich sie zumeist, da ich mir eine derartige “Belohnung” ja noch nicht verdient habe.
Bei meinen Verwandten habe ich eine andere Motivation gespürt: Sie WOLLTEN die Dinge, die sie taten und ließen sich treiben, taten Dinge, auf die sie Lust hatten und das ganz selbstverständlich. Am Ende des Tages rechneten sie eben nicht ab, ob sie denn genug geleistet hatten und konnten auch nach eher ruhigen Tagen gut schlafen, was mir nie möglich wäre. Ich lebe im Glauben, zuerst etwas leisten zu müssen, bevor ich Entspannung verdient habe - was auch meine Fähigkeit, zu spüren, was ich wirklich möchte, beeinträchtigt. Ich bin mir sicher, dass ich am Ende des Tages gleichviel “geschafft” hätte, wenn ich nach meinen Gefühlen gehen würde, wenn nicht sogar mehr. Warum? Weil ich bei allem, was ich sonst tue, das Ende des Auftrags herbeisehne, um mich irgendwie wieder anderweitig betätigen möchte. Ich sitze mein Leben also in Blöcken ab, weil ich mir nicht erlaube, wirklich Spaß zu haben oder überhaupt zuzulassen, in mich hineinzuspüren. Für den ein oder anderen mag das vielleicht etwas komisch klingen, aber es macht einen Riesenunterschied, ob man Dinge tut, weil man sie wirklich WILL, oder nur, weil sie “produktiv” sind oder von anderen wertgeschätzt werden.
In ersterem Fall kommt man in einen Flow: man vergisst, dass die Zeit vergeht, vertieft sich in eine Tätigkeit und geht darin auf. Zweitere Option fühlt sich an wie Zwangsarbeit - man muss immer etwas tun, egal, ob man will oder nicht, ob man interessiert ist oder nicht, einfach nur, weil es vermeintlich “besser” ist. Leider raubt diese Einstellung einem die ganze Lebensfreude, weil man zu sehr mit planen und denken beschäftigt ist, anstatt seine mentalen Kapazitäten für andere Dinge zu nutzen. Es ist kein Wunder, dass ich mich mit der Zeit ausgelaugt fühle und keine Freude mehr an den verschiedensten Dingen finden kann. Vergleichbar wäre die Lektüre eines Buches privat oder in der Schule: selbst bestimmte und ausgewählte Bücher, die nur einem selbst passen müssen, machen offensichtlich mehr Spaß als eine aufgezwungene Schullektüre.
Aber was wäre, wenn ich mein Leben auch anders verbringen könnte, indem ich meine Einstellung ändere? Was, wenn ich nun nur noch tue, zu was ich wirklich Lust habe, mir einen Job suche, den ich gerne mache und mit der Einstellung aufstehe, dass ein Tag vor mir steht, den ich nach MEINEN Gefühlen gestalten darf? Was, wenn das Urteil anderer zu dem, was ich tue, irrelevant ist, solange es MIR entspricht? Was, wenn ich mich von den Erwartungen der mir am nähesten stehenden Personen lösen darf und jenen kleinen Befehlshaber, der mir vorschreibt, was und wie ich fühlen und tun darf, ablege?
Wird etwas Schlimmes passieren? Nein. Werde ich verwahrlosen? Ebenso nicht. Werde ich aber mehr Freude am Leben haben? Definitiv.
Und wenn meine Tage vielleicht etwas weniger durchgeplant und mit Pflichten vollgestockt sind (oder Dingen, die ich wirklich gerne tue und die sich eben NICHT nach Pflicht anfühlen), habe ich das Leben genau richtig angegangen. Niemand muss meiner Routine, meinen Hobbys oder Vorlieben folgen, niemand muss genau das tun, was ich für mich entscheide - jeden Tag aufs Neue. Also sollte ich lieber darauf hören, was wirklich MEIN Gefühl mir sagt, was ich gerne tun würde, denn selbst wenn ich “brav” bin und mich wie im Urlaub den Werten anderer unterordne bringt das auf lange Sicht nichts, außer dass ich unglücklich werde und mich selbst verliere. Stattdessen muss ich mich darauf konzentrieren, was mir wichtig ist und mich begeistert und weniger versuchen, etwas anderen “zuliebe” zu tun. Ich kenne dieses (enorm gute) Gefühl und habe auch schon die Erfahrung gemacht, dass es auch Lernen, Sport und Produktivität beinhaltet. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass ich nur faul sein möchte - doch ich darf auch das. Denn nur wenn ich wirklich auf meine Bedürfnisse höre, kann ich glücklicher werden - alles andere ist zum Scheitern verurteilt.