Negative Self-Talk

Ich persönlich kenne niemanden, der sie nicht kennt: die kritische innere Stimme, den “inneren Kritiker”, das “Über-Ich”, die negativen Glaubenssätze oder welche Bezeichnung man auch immer für diese Überzeugungen finden mag. Was alle diese Modelle vereint, ist ihre Beschreibung einer negativen Bewertung des eigenen Verhaltens, für die wir uns selbst verurteilen, Vorwürfe machen oder andere negative Gefühle entwickeln. Je nachdem, wie ausgeprägt diese Stimme ist, kann unser Selbstwert stark darunter leiden oder sogar unsere mentale Gesundheit ernsthaft gefährdet sein. Es kommt dabei darauf an, wie tief diese Stimme, diese Glaubenssätze in uns verankert sind und auch, wie wir und unser Umfeld damit umgeht und umgegangen ist. Jeder Mensch wird manchmal von Selbstzweifeln geplagt oder ärgert sich über sich selbst, doch im Normalfall stellen wir dadurch uns nicht als Ganzes infrage. Nicht WIR sind per se schlecht, nur etwas, das wir getan haben, hätte besser laufen können - und bietet uns die Gelegenheit, daraus zu lernen. Wenn wir aber uns mit dieser negativen Stimme identifizieren, werden wir selbst zu unserem größten Feind und bekommen psychische Probleme, die auch nicht mehr durch einfache mentale Tricks zu lösen sind, sondern professioneller Hilfe bedürfen. Wenn dir das bekannt vorkommt, zögere bitte nicht, dir Hilfe zu suchen - das ist weder eine Schwäche, noch deine Schuld! Im Gegenteil - es ist stark, sich einzugestehen, wenn man ein Problem hat und dieses nicht zu verdrängen, sondern aktiv anzugehen und sich dafür Hilfe zu holen.

Für all jene, die sich zwar länger mit negativen Glaubenssätzen aufhalten, als sie sollten oder müssten und sich durch sie blockiert fühlen, auch wenn sie im Grunde wissen, dass sie falsch sind, denen können folgende Tipps vielleicht helfen.

Glaub nicht alles, was du denkst

Unsere Gedanken schaffen unsere Realität. Doch nicht alles, was wir denken, ist unserer Entwicklung und unserem Leben mit unseren eigenen Zielen, Träumen und Wünschen zuträglich - insbesondere keine Selbstzweifel, die uns blockieren. Es kann an schlechten Tagen schon einmal vorkommen, dass wir uns für Dinge verurteilen, die wir an anderen Tagen abstreifen und einfach weitermachen. Gerade an solchen Tagen ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass unsere Gedanken keine Fakten sind. Sie formen zwar unser Erleben, doch von außen betrachtet können sie ganz schön verdreht und irrational sein. Gerade, wenn wir emotional werden oder gestresst sind, gelingt es uns oft nicht, einen neutralen und objektiven Blick auf uns selbst zu richten und wir verurteilen und schneller und stärker, als es angemessen ist. Das führt aber nur dazu, dass wir uns schlecht fühlen und das auch ausstrahlen, was auch einen Einfluss darauf hat, wie wir von anderen behandelt und wahrgenommen werden. Auch wenn es uns in dem Moment vielleicht nur bedingt Trost spenden kann, dürfen wir uns deshalb immer daran erinnern, dass diese negativen Gedanken und Gefühle nicht der Wahrheit entsprechen und von begrenzter Dauer sind. Sie definieren uns nicht als Personen und wir müssen uns nicht selbst und niemand anderem beweisen, dass sie nicht wahr sind - wir müssen sie nur akzeptieren und aushalten. Denn auf diesem Weg verschwinden sie nicht nur am schnellsten wieder, wir kommen auch schneller wieder in Kontakt mit unserem Selbst und können, ohne durch negative Emotionen geleitet zu werden, Entscheidungen treffen und leben, wie wir es uns vorstellen.

Würdest du so mit jemand anderem reden?

Ein weiteres mentales Tool, um mit negativen Gedanken umzugehen, ist die Frage, ob wir unsere besten Freunde auch so behandeln würden, wie wir mit uns selbst reden. Wenn wir emotional werden, blockiert das meist unsere Kreativität und hemmt unsere Kraft, uns selbst zu entfalten. Wenn wir aber wohlwollend mit uns umgehen und Selbstmitgefühl für unsere Situation haben, kann es uns gelingen, nicht nur schneller aus dem negativen Gedankenkreisel wieder herauszukommen, sondern auch diesen in etwas Positives umzudeuten und als Gelegenheit für Wachstum zu sehen.

Anstatt uns also zu verurteilen, könnten wir uns selbst nicht als Feind, sondern als Freund betrachten. Wenn den Menschen, die uns lieb sind, etwas passieren oder widerfahren würde, was wir gerade erleben, was würden wir ihnen dann raten? Wie würden wir mit ihnen umgehen? Dabei geht es nicht nur darum, WAS wir genau sagen, sondern auch WIE wir es sagen, denn wenn wir mit uns selbst reden, fällt unsere Wortwahl oft viel heftiger aus, als es notwendig wäre. Wenn andere Menschen von uns nicht so schlecht behandelt werden, warum sollten wir bei uns selbst eine Ausnahme machen? Denn abgesehen davon, dass es nicht fair ist, blockiert es uns auch viel eher, als dass es uns weiterhilft.

Wie würde der Mensch handeln, der du sein möchtest?

Ein weiterer Gedanke, der sehr hilfreich sein kann, insbesondere wenn wir etwas (noch) nicht geschafft haben oder uns für Dinge verurteilen, die wir “falsch” gemacht haben, ist, sich die Frage zu stellen, wie eine Person, zu der wir aufschauen, handeln würde. Dabei kann es eine zukünftige Version unserer Selbst oder ein konkretes Vorbild aus verschiedenen Lebensbereichen sein, dem wir nacheifern. Wie geht diese Person mit Rückschlägen um? Wie verhält sie sich, wenn sie nicht im ersten Versuch bekommt, was sie möchte oder erreicht, was sie anstrebt? Wenn wir an “erfolgreiche” Menschen - sei es im ökonomischen, sportlichen oder auch familiären/privaten Bereich - denken, so ist die Antwort nur sehr selten, dass diese Menschen mit Selbsthass reagieren. Viel mehr akzeptieren sie die Situation, wie sie ist, ohne sie ändern zu wollen, akzeptieren, dass sie auch nur unvollkommene Menschen sind und versuchen, aus ihren “Fehlern” zu lernen und “Helfer” für die Zukunft zu machen.

Nehmen wir die reichsten Menschen unserer Zeit als ein Beispiel: Wie viele von ihnen hatten mit ihrer ersten Geschäftsidee Erfolg? Wie viele scheiterten nicht unzählige Male, vor sie den Durchbruch schafften? Richtig - kein Einzelner oder keine Einzelne von ihnen. Was diese Menschen auszeichnet, ist weniger nicht ihre Unfehlbarkeit oder ihre einzigartigen Ideen, die ihr Kopf am Fließband produziert. Es ist viel mehr ihre Fähigkeit, zu lernen und aus Misserfolgen viele Erkenntnisse für die Zukunft mitzunehmen und sich mit diesen nicht zu lange aufzuhalten. Natürlich braucht es auch Ausdauer und ein wenig Glück, im rechten Moment die rechte Idee zu haben, vor allem aber sind diese Personen gewillt, zu scheitern, um längerfristig Erfolg zu haben, was sie von den meisten Menschen unterscheidet - denn es ist nicht angenehm, Fehler zu machen und dazu stehen zu müssen.

Auch im Sport gibt es selten eine Karriere, die nur von Hochs und keinem einzigen Tief geprägt ist. Es gibt natürlich in jedem Bereich besondere Talente, die einen raketenhaften Aufstieg schaffen und scheinbar aus dem Nichts einen Erfolg auf der Weltbühne landen. Doch nicht diese Sportler gehen als die Besten ihrer Zunft in die Geschichte ein, sondern jene, die auch Rückschläge wegstecken und über viele Jahre erfolgreich sind. Die wirklichen Idole landen nicht einen großen Erfolg und ziehen sich anschließend aus dem Sport zurück, sondern bereichern diesen jahrelang durch ihre Präsenz, durch ihre einmaligen Siege und oft auch durch Niederlagen, die für immer in Erinnerung bleiben - den die wahre Größe eines Sportlers zeigt sich in einer Niederlage und dem folgenden Comeback. Ein gutes Beispiel dafür ist der Boxer Muhammad Ali, der zwar den wahrscheinlich bekanntesten Boxkampf der Geschichte verlor und dennoch als einer der größten Sportler in die Geschichte einging.

Auch wenn sich nur Erfolge wie Erfolge anfühlen, so zeigt sich doch besonders auch bei Misserfolgen, wer wir wirklich sind und wie wir auf diese reagieren. Schmeißen wir das Handtuch oder akzeptieren wir, dass es dieses Mal nicht geklappt hat und machen - trotz unserer Enttäuschung - gleich weiter, ohne uns selbst zu verurteilen, sondern mit einigen Learnings bereichert, was wir das nächste Mal verbessern können?

Was will mir dieser Gedanke sagen? Woher kommt er? Wie alt ist er?

Dieser Ansatz geht ein wenig mehr in die therapeutische Richtung, kann jedoch ebenfalls in der Selbstreflexion Wunder wirken, wenn wir mit negativen Glaubenssätzen konfrontiert sind. Werden diese durch einen Auslöser getriggert, so sind wir mit einem inneren Anteil assoziiert, der uns geringschätzt, schlecht behandelt und heruntermacht. Doch dieser Anteil spricht keineswegs die Fakten aus, wie wir vorher schon besprochen haben, sondern er ist meistens schon früher in unserem Leben entstanden, als Reaktion auf ein negatives Ereignis, für das wir unbewusst uns selbst die Schuld gaben, auch wenn es dafür keinen Grund gab. Solche irrationalen Schuldzuweisungen gegen uns selbst passieren häufig, wenn wir noch kleine Kinder sind und nicht verstehen oder reflektieren können, wie die Welt und die verschiedenen Geschehnisse zusammenhängen. So kann es passieren, dass die kindliche Psyche bei einem negativen Ereignis reagiert, indem sie dem Kind selbst die Schuld gibt. Was paradox klingt, ist jedoch ein Schutzmechanismus, der das Kind vor dem noch schlimmeren Ohnmachtsgefühl schützt, dass es nichts tun kann, um die Situation zu verbessern. Es ist leichter, selbst die Fäden in der Hand zu halten als bestimmten Einflüssen sich schutzlos ausgeliefert zu fühlen, weshalb Kinder eine Art “magisches Denken” entwickeln, das sie davon überzeugt, alles durch ihre Taten lenken zu können. “Wenn ich brav genug bin, werden sich meine Eltern nicht trennen” oder “wenn ich gut in der Schule bin, sind meine Eltern glücklich” wären beispielhaft für solche magischen Gedanken. Diese geben den Kindern das Gefühl von Kontrolle, denn sie verstehen in einem gewissen Alter noch nicht, dass sie nicht das alleinige Zentrum des Universums sind und es unzählige Faktoren gibt, die den Beziehungszustand oder das Wohlbefinden seiner Eltern beeinflussen.

Aus diesem Grund passiert es auch uns Erwachsenen noch, dass wir uns für Dinge verurteilen, die wir nicht vorhersehen oder verhindern konnten, nur weil wir einen Verantwortlichen suchen und finden wollen. Wenn uns das einmal bewusst wird können wir aber darüber reflektieren und uns fragen, welche inneren Anteile in uns gerade aktiv sind. Ist es tatsächlich unsere Schuld, was passiert ist? Haben wir uns objektiv betrachtet etwas vorzuwerfen? Wie alt fühlen wir uns, wenn wir uns selbst die Schuld an etwas geben? Wenn darauf die Antwort “auf einmal sehr klein” lautet, dann kann dies schon ein Indiz für kindliches, “magisches” Denken sein.

Fazit

Wir alle sind nicht gefeit vor negativen Gedanken, Selbstzweifeln und vorschnellen Selbstverurteilungen. Manche Menschen haben mehr damit zu kämpfen, andere weniger, doch in den allermeisten Fällen sind diese Gedanken weder hilfreich, noch begründet. Mit den oben genannten Tools kann es uns gelingen, diese zerstörerische Energie in kreative Lebenskraft umzuwandeln und etwas wohlwollender mit uns umzugehen. Trotzdem ersetzt jeder “Mindset-Hack” natürlich keine Psychotherapie, die in solchen Fällen, insbesondere bei einem niedrigen Selbstwert, ebenfalls anzuraten ist. Trotzdem hoffe ich, dass meine Gedanken für den ein oder anderen Leser vielleicht hilfreich sind und das nächste Mal etwas nachklingen, wenn er/sie wieder einmal strenger mit sich ins Gericht geht, als es notwendig oder gerechtfertigt wäre.

Ich bedanke mich bei allen, die bis hierhin gelesen haben, passt auf euch auf und alles Liebe, euer Jakob

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