Soziale Medien

Soziale Medien sind seit der Markteinführung von Instagram explodiert, Nutzerzahlen haben sich vervielfacht und weltweit kann man sich fast sicher sein, dass jeder Mensch unter 50, der ein Smartphone besitzt, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch Instagram, TikTok, X, Facebook, SnapChat, BeReal oder ein anderes soziales Medium nutzt. Was klein und fast schon intim begann, ist heute zur primären Informationsquelle vieler Menschen geworden und hat sich zu einer Art “zweiter Öffentlichkeit” entwickelt. Was in den sozialen Medien angekündigt wird, hat inzwischen nicht nur private, sondern unter Umständen gar weltpolitische Bedeutung und ist nicht mehr nur das Urlaubsfoto von letztem Juli oder eine Story vom gestrigen Mittagessen mit Freunden. Diese Entwicklung hat auf den “normalen” Durchschnittsnutzer oder die -nutzerin einige Effekte, vor allem, wenn man bedenkt dass der Großteil der Menschen, die am meisten Zeit in den sozialen Medien verbringen, noch sehr jung sind. Einige Auswirkungen, vor allem in Bezug auf Selbstwert und Vergleiche, möchte ich in diesem Artikel thematisieren.

Problem #1 - Authentizität

Als Instagram noch eine kleine Plattform war und Facebook dieser noch weit überlegen war, nutzten hauptsächlich Privatpersonen die Plattform. “Influencer”, die nur durch Beiträge oder Videos ihren Lebensunterhalt verdienten, gab es noch sehr wenige und so waren auch Werbeeinschaltungen eher selten. Die App war noch mehr das, was man unter dem Begriff “soziales Medium” eigentlich versteht: Ein Platz zum Austausch von Erfahrungen, zum Teilen von Fotos und zur Kommunikation - nur eben über Bilder und nicht nur wie bis dahin über Text. Weil das potenzielle Publikum ebenfalls begrenzt war, schafften es auch weniger “perfekte” Bilder in den eigenen Feed und weniger Menschen hatten das Gefühl, ihr Leben als perfekt inszenieren zu müssen oder auch zu wollen. Heute haben selbst Unternehmen, ältere Menschen und Gruppen, die vor einigen Jahren soziale Medien noch verurteilt haben einen Account und was gepostet wird, muss meistens schon einige Kriterien erfüllen. Das führt dazu, dass immer mehr perfekt inszenierte, aber unauthentische Profile entstehen, schließlich möchte sich jeder und jede von seiner besten Seite zeigen. Darüber hinaus sind die veröffentlichten Bilder nicht “nur” mehr in einem sozialen Medium, das eben parallel zur Realität existiert, man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass für viele Menschen inzwischen die “Realität” auf Instagram oder allgemein im Internet die “wichtigere” Realität geworden ist. Auch professionelle Nutzer, Unternehmensaccounts, Nachrichten etc. kommunizieren und werden heute in erster Linie über diese Ebene kommuniziert und nicht mehr wie früher über E-Mail oder den Rundfunk. Aus der intimen Atmosphäre, in der man etwas von sich preisgeben kann und will, ist somit eine Öffentlichkeit geworden, die viel seltener noch einfach für persönliche “Tagebücher” genutzt wird.

Problem #2 - Professionalisierung

Die angesprochene Professionalisierung und zunehmende Nutzung der sozialen Medien von Unternehmen, öffentlichen Personen und sogar staatlichen Institutionen nimmt dem Raum nicht nur die Authentizität, sie sorgt auch für immer “perfektere” Beiträge. Instagram bietet heute eine realistische Chance, Geld zu verdienen und was vor einigen Jahren noch als Randphänomen belächelt wurde, hat inzwischen mit “Influencer” eine richtige Berufsbezeichnung. Um aber viele Menschen zu erreichen, muss man aus der Masse hervorstechen, und das gelingt am besten mit besonders ausgefallenen oder hochqualitativen Postings. Filter, KI, Nachbearbeitung etc. sind allesamt willkommene Mittel, um ein möglichst perfektes Bild zu erschaffen, das zwar weder authentisch ist, noch mit der Realität irgendetwas zu tun hat, doch dafür eben Menschen anlockt und somit dafür sorgt, dass das Geld durch Aufrufe, Werbeeinnahmen etc. hereinsprudelt. So kann der Eindruck entstehen, dass diese Menschen ein perfektes Leben führen und nur wunderschöne Momente durchleben, was auf den Einzelnen Druck ausübt und diesen auch dazu veranlasst, nur die besten Fotos von sich preiszugeben. Aus dem Gedanken eines authentischen Kommunikationstools ist also ein Umschlagplatz für perfekte Illusionen und ein Ort der Selbstdarstellung und Inszenierung geworden - was nicht nur Schade ist, sondern auch negative Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Nutzern haben kann, die nur perfekte Bilder zu sehen bekommen, während sie selbst vielleicht nicht so “viel” herzuzeigen haben.

Problem #3 - Algorithmen

Was auch nahtlos in das dritte Problem überleitet: Soziale Medien verwenden Algorithmen, die dafür sorgen sollen, dass die Nutzer mehr Zeit mit ihnen verbringen, denn mehr Zeit bedeutet für die Unternehmen mehr Werbeschaltungen und mehr Umsatz. Und wie gelingt das am Besten? Richtig, mit unglaublichen, faszinierenden, “nicht-normalen” Dingen, die die Menschen fesseln, unterhalten oder beeindrucken, vielleicht auch inspirieren. Daran ist grundsätzlich auch nichts falsch, doch gepaart mit dem oben genannten Bestreben vieler Nutzer, eine perfekte Realität zu inszenieren und dem Ständigen Rittern nach Likes entsteht ein erbitterter Kampf um Aufmerksamkeit. Algorithmen befeuern diesen ganz automatisch, indem sie populärere Beiträge eher weiterverbreiten als solche, die weniger Interaktion hervorrufen. Das hat jedoch zur Folge, dass Extreme normalisiert werden, dass Außergewöhnliches zur Messlatte und zum Standard wird, was wir zu sehen bekommen. Je mehr Zeit Nutzer also in den sozialen Medien verbringen, umso eher sind sie von dieser verzerrten Realität betroffen, was viele negative Auswirkungen haben kann. Fitnessbegeisterte Jugendliche sehen beispielsweise nur perfekt geformte Körper, die nicht selten optisch nachbearbeitet wurden und sind frustriert, selbst nicht dasselbe zu erreichen. Was sie dabei aus den Augen verlieren sind die 99,99% der anderen Körper, die es nicht auf ihre Seite geschafft haben, weil sie “zu normal” waren und für die Algorithmen zu wenig “Traffic” verursacht haben, um weiter gepusht zu werden. Jungunternehmer haben plötzlich nur noch erfolgreiche, gleichaltrige Wunderkinder auf ihrem Feed, die jedoch auch nur einen verschwindend geringen Teil der tatsächlich aktiven “Konkurrenz” ausmachen. Statt also unbeeindruckt weiter ihr Ziel zu verfolgen, können diese Menschen davon verunsichert werden und sich schon einmal fragen, warum sie denn nicht “in zwei Monaten eine Million” erwirtschaftet haben, wie es die sensationsdurstigen sozialen Medien verkaufen wollen.

Doch nicht nur in diesem Kontext sind die Algorithmen, die genau das vorzuschlagen versuchen, was wir gerne sehen, problematisch. Sie begünstigen durch ihre Funktionsweise nämlich automatisch, dass wir uns in eine “Bubble” begeben, die wie eine Echokammer wirkt und nur noch die eigenen Interessen und Meinungen widerhallt. Was früher ein toller Weg war, um “Gleichgesinnte” zu finden und sich über Leidenschaften und Hobbys auszutauschen, die vielleicht nicht so alltäglich waren, ist heute nicht mehr gleich vorteilhaft. Zwar besteht die Vernetzungsmöglichkeit nach wie vor, doch früher war es - aufgrund der begrenzten Nutzerzahl, doch immer wieder der Fall, dass man auf Inhalte stieß, die einem nicht so zusagten oder mit Meinungen konfrontiert war, die nicht der eigenen entsprachen. So konnte der Bezug zur Realität aufrecht erhalten werden und dennoch wurde eine Möglichkeit geschaffen, Menschen gleicher Interessen zusammenzubringen. Heute nutzen jedoch so viele Menschen die sozialen Medien, dass der Eindruck entstehen kann, dass sowieso alle gleich denken wie man selbst und daher keine Notwendigkeit besteht, sich mit anderen Interessen und Meinungen auseinanderzusetzen. Was auf politischer Ebene sehr problematisch sein kann ist aber auch im Privaten unangenehm - denn ein Hobby ist in den seltensten Fällen ein Alleinstellungsmerkmal und auch verschiedene Errungenschaften erscheinen “nichts Besonderes” mehr zu sein. Um erneut das Beispiel eines Jungunternehmers zu bemühen: Dieser hätte - in einer früheren Zeit - sich vielleicht ziemlich gut in seiner Haut gefühlt, weil er nicht nur ein “Hobby” bzw. einen Beruf hatte, den nicht jeder einfach so bekleidete, und weil er - für seine Voraussetzungen - mit seinem Erfolg ziemlich zufrieden und auch ein bisschen stolz darauf war. Heute aber ist sein Instagram-Feed geflutet von anderen Jungunternehmern, die noch mehr in noch kürzerer Zeit erreicht haben und ihm weiß machen möchten, dass er mit genügend harter Arbeit dies auch bewerkstelligen kann - meistens versehen mit einer Kaufempfehlung für ein Motivationscoaching oder einer “Masterclass”, die vom Werbenden selbst angeboten wird. Anstatt also seinen Weg weiterzugehen, vergleicht sich der arme Jungunternehmer, fühlt sich nicht nur “nichts Besonderes”, weil er ja nur einer von so vielen ist, sondern ist darüber hinaus noch unzufrieden, weil er noch nicht gut genug zu sein scheint - und stürzt sich weiter in die Arbeit. Genau auf die gleiche Art und Weise verunsichern auch Schönheitsideale und immaterielle Statussymbole wie Urlaube und “einmalige Erlebnisse” (die perfekt inszeniert wurden), die täglich neu in der App aufscheinen, nicht nur junge, sondern auch ältere Menschen und sorgen so für Unzufriedenheit und Minderwertigkeitsgefühle.

Lösung in Sicht?

Dass nur Außergewöhnliches Aufmerksamkeit bekommt und immer mehr Likes bekommen wird als Alltägliches liegt in der Natur der sozialen Medien und lässt sich kaum verhindern. Auch die entstehenden Bubbles sind kaum vermeidbar, außer man folgt ganz bewusst Menschen, die einen anderen Standpunkt vertreten als man selbst, was aber nur wenige Menschen wirklich tun. Es bleibt also nur, den Bezug zur Realität nie zu verlieren und sich immer wieder bewusst zu machen, wie die sozialen Medien funktionieren und dass sie alles andere als ein realistisches Bild der Welt abgeben. Außerdem ist der Trend, in dem immer mehr Menschen und Influencer ungefilterte und ungeschönte Momente aus ihrem Leben teilen, sehr zu begrüßen, da sie der ganzen Perfektion, mit der man konfrontiert ist, etwas entgegensetzen. Denn ursprünglich war der Gedanke hinter den “sozialen” Medien schließlich nicht, eine Vergleichsplattform der Schönsten, Reichsten und Erfolgreichsten zu schaffen, sondern eine Möglichkeit, sich mit Menschen gleicher (oder auch verschiedener) Interessen auszutauschen und dabei keinen monetären Profit anzustreben.

Also glaubt nicht alles, was ihr seht und geht gut mit euch selbst um, egal wie “perfekt” das Leben anderer manchmal erscheinen mag - denn das ist es nicht! Alles Liebe, Jakob

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