Jeder Weg ist anders - und das ist gut so
Kürzlich habe ich etwas verstanden, was ich glaube, vielen Menschen in einer ähnlichen Situation ebenfalls helfen könnte, weshalb ich meine Gedanken dazu teilen möchte. Ich habe in einem anderen Blog Post darüber geschrieben, dass wir uns unbewusst immer mit den Besten der Besten auf ihrem Gebiet vergleichen, wo wir doch eigentlich stolz darauf sein könnten, was wir im Rahmen unserer eigenen Voraussetzungen erreichen und erreicht haben. Sich von Stars und Athleten, Vorbildern und Unternehmern abzugrenzen, fällt - mir zumindest - da noch leichter, als wenn es um den Vergleich mit meinem unmittelbaren Umfeld geht. Seien es Gleichaltrige, Mitstudenten oder einfach Bekannte, die (meistens) älter sind als ich. Auch diesen Vergleich finde ich von Zeit zu Zeit belastend, weil ich dabei das Gefühl bekomme, irgendwie zu langsam zu sein, an diesem Punkt in meinem Leben doch schon mehr erreicht haben zu müssen oder Antworten auf grundlegende Fragen gefunden haben zu müssen, die andere mir schon voraus haben. Ich habe Angst, abgehängt zu werden und es nie soweit zu bringen wie andere, und auch dass meine Sorgen, die ich in diesem Moment habe, von niemandem nachvollzogen werden können, weil sie alle schon längst überwunden haben und sich gar nicht mehr vorstellen können, mit solch “lächerlichen” Problemen sich herumzuschlagen.
Diese Sorge betrifft auch die Dinge, die ich mit dieser Seite erreichen und bewirken möchte. Ich habe Angst, dass jene Gedanken, die ich mir heute mache, bereits keine Relevanz mehr für die “Menschheit” haben, weil sie so leicht zu “lösen” sind, dass nur ich bisher so langsam und unfähig war, auf diese Fragen Antworten zu finden. Warum sollte ich also meinen Weg teilen, wenn alles, was ich von mir gebe, nur Zeugnis davon ist, wie langsam und rückständig meine Gedanken sind? Wäre es nicht besser, zu schweigen und froh zu sein, wenn niemand bemerkt, wie weit zurückgeblieben und abgehängt ich in Wirklichkeit bin? Sollte ich nicht darauf warten, bis ich etwas erreicht oder gelernt habe, was auch für “erwachsene” und “reife” Menschen, die bereits gefestigt sind und sich schon Anerkennung und einen Platz in der Gesellschaft “verdient” haben, von Interesse sein könnte?
Ich bin nun aber zu einer Erkenntnis gelangt, die diese Fragen beantwortet. Meinen Zweifeln liegt die Annahme zugrunde, alle Menschen seien bereits “weiter”, hätten meine heutigen Probleme längst überwunden und hätten außerdem bereits viel mehr erreicht, wodurch sie sich auch den Respekt und die Aufmerksamkeit von Leserinnen und Lesern viel eher verdient hätten als ich. Doch dann habe ich verstanden, dass wir alle an unterschiedlichen Punkten in unserem Leben stehen, dass wir alle andere Wege wählen und dabei unterschiedlich “schnell” sind - aber dass ALLE Wege, Tempi und Orte, an denen wir uns befinden, okay sind. Es gibt auf dem Lebensweg kein “besser” oder “schlechter”, kein “schneller” oder “langsamer” und keinen Punkt, ab dem wir “verdient” haben, gehört oder gesehen zu werden. Es gibt nur so viele verschiedene Wege, wie es Menschen gibt und das ist nicht nur okay, sondern auch schön und vollkommen in Ordnung. Natürlich teilen wir Menschen einige Fragen in unserem Leben, doch auch die Antworten, die wir darauf früher oder später finden, variieren gewaltig voneinander und was für den einen ein hilfreicher Ansatz sein könnte, hilft dem anderen vielleicht kein Stück weiter.
Ich glaube, dass es deshalb auch okay ist, den eigenen Weg zu gehen und - in meinem Fall - auch jene Gedanken und Fragen, die sich mir dabei auftun, zu teilen und zu diskutieren. Selten verläuft ein Lebensweg linear und was mich mit 23 Jahren heute beschäftigt, könnte andere schon früher, aber auch viel später erst zum Nachdenken bringen. Es gibt keinen vorgegebenen, klar chronologisch gegliederten Weg, den jeder mehr oder weniger gleich beschreitet und deshalb automatisch mit 60 schon alle Antworten auf die Fragen eines 40-Jährigen hat. Und wenn dies doch der Fall wäre, so könnten die Antworten doch grundsätzlich verschieden ausfallen, weil die Überzeugungen, Erlebnisse und Entscheidungen, die diese zwei Personen bis dahin in ihrem Leben gefällt haben, ja auch voneinander abweichen.
Es bleibt die Frage nach der Relevanz meiner Gedanken, meinem Platz in der Welt und den Zweifeln, ob es nicht “zu früh” ist, zu glauben, dass meine - vermeintlich naiven - Gedanken es wert sind, festgehalten zu werden und ob sie überhaupt irgendeine Daseinsberechtigung haben, wo ich doch noch nichts “erreicht” habe, an dem ich festmachen könnte, vielleicht doch etwas Sinnvolles und Hilfreiches anbieten zu können. Aber eben weil jeder Weg anders ist, habe ich verstanden, dass darin auch die Antwort auf meine Frage liegt: Ja, es hat Relevanz, und zwar mehr, als ich und jeder andere, der an seinem “Gedanken- und Selbstwert” zweifelt, vielleicht vermuten möchte. Viele Menschen stellen sich vielleicht gewissen Fragen gar nicht, weil sie sie vermeiden, und kommen deswegen erst spät in ihrem Leben darauf, Antworten zu suchen. Andere befinden sich vielleicht gerade genau an dem Punkt, an dem ich mich befinde und können Trost und Hoffnung aus meinen “Learnings” gewinnen. Ja, manche Menschen sind vielleicht schon an einem Punkt, an dem sie die Zweifel oder Probleme, die ich anstrebe, mit ihrer eigenen Lösung überwunden haben, aber ich denke, dass auch sie mich nicht dafür verurteilen, meine eigenen Lösungen zu finden. Aber deren Lösung ist vielleicht auch nicht universell anwendbar und unterscheidet sich vielleicht von meiner, weshalb es - auch wenn es schon genügend Antworten in der Welt gibt - immer einen Wert hat, seine eigene zu finden, weil die sich doch wieder unterscheidet und dadurch vielleicht auch für andere Menschen eher passt als eine Binsenweisheit oder ein Motivationsspruch, der irgendeiner berühmten Person zugeschrieben wird (lustigerweise ist das oft Mark Twain).
In diesem Sinne möchte ich nicht behaupten, dass meine Erkenntnisse für jeden Leser von Relevanz sind, und vielleicht mögen manche schon “weiter” sein und keinen Mehrwert aus diesem Blog ziehen können. Doch ich hoffe, dass auch das Gegenteil der Fall sein wird. Und eine Sache ist mir auch klar geworden, als ich diesen Blogartikel verfasst habe: Es ist okay, an dem Punkt in seinem Leben zu stehen, an dem man gerade steht und genau diesen Moment anzunehmen, zu akzeptieren und zu schätzen. Zwar ist es leicht, sich mit Menschen zu vergleichen, die schon ein Ziel erreicht haben, das man selbst vielleicht ebenfalls anvisiert - doch wer weiß, wie lange das noch der Fall ist? Und sind diese Menschen deshalb mehr wert oder haben ein größeres Recht darauf, zu leben? Ich denke nicht, denn der Weg des Lebens ist das Ziel und jeder Schritt, den wir darauf gehen, hat die gleiche Wichtigkeit, weil er uns gleich viel weiterbringt - egal, ob wir gerade erst ins Gymnasium gehen oder kurz vor der Pensionierung stehen. Es geht alles seinen Weg und ist in diesem Moment so richtig, wie es ist. Und darauf dürfen wir vertrauen.