Für wen will ich leben?

In der heutigen Welt ist man in den sozialen Medien mehr denn je mit der Frage konfrontiert, welches “Bild” von sich man nach außen hin abgeben möchte. Doch nicht erst seit Instagram und Co. die Handys der heranwachsenden Generationen erobert haben, gibt es so etwas wie “soziale Kontrolle”. Auch die heute älteren Generationen kennen diese Fragen und mussten sich auch in ihrer Jugend damit auseinandersetzen, welche Werte sie verkörpern wollten und wie sie sich darstellen wollten. Dabei handelt es sich eigentlich um eine ganz existenzielle Frage, nämlich wer man ist, wie man ist und was man tut. Sei es in Bezug auf Aussehen, Hobbys, Job, Werte, Charakter - alle Ebenen unseres Daseins sind von dieser Frage betroffen. Das Schöne ist, dass wir selbst bestimmen können, wer und wie wir sein wollen, denn das haben alleine wir selbst in der Hand. Doch ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht, schließlich werden wir auch von außen beeinflusst. Und weil wir uns zugehörig fühlen wollen, übernehmen wir jene Idealvorstellungen, die gesellschaftlich vorherrschend sind, die uns unsere Eltern vorleben oder unser Umfeld beibringt. Das ist ganz normal und per se auch nichts Schlechtes, doch es gibt leider auch viele Beispiele, bei denen ein äußerer Einfluss uns negativ beeinflusst, nämlich immer dann, wenn wir nicht einer Norm entsprechen. Angefangen vom Schönheitsideal der schlanken Frau und dem muskulösen Mann bis zum klassisch binären Geschlechterdenken - so lange wir “normal” sind und einem allgemein akzeptierten Ideal nacheifern, ist alles okay, doch sobald wir davon abweichen, stoßen wir auf Widerstände.

Unsere Gesellschaft vermittelt uns tagtäglich, wie sie sich ein “gutes” Mitglied vorstellt. In punkto Familienplanung soll es am besten eine traditionelle Familie mit Kindern sein, außerdem sollen wir einem (Vollzeit-)Job in bekannten Berufsbildern nachgehen und immer fleißig und brav sein. Mir würden noch weitere, auch viel subtilere Normen einfallen, die stillschweigend von uns allen eingefordert werden und ich möchte betonen, dass an diesen Lebensformen absolut nichts Verwerfliches zu finden ist. Das einzige, was mich stört, ist, dass jegliche Abweichung von einer “klassischen” Lebensplanung schnell auf Kritik anstatt Wohlwollen, auf Widerstand anstatt Unterstützung stößt. Das kann sehr verunsichernd sein und bringt Menschen dazu, sich in ein Korsett, eine Schablone zu zwängen, in die sie eigentlich nicht hineinpassen. Aus Angst vor negativen Konsequenzen und Ablehnung passen wir uns an und leben oft ein Leben, das zwar allgemein positiver wahrgenommen wird, uns jedoch nicht wirklich glücklich macht. “Was würden die anderen denn denken, wenn …” ist ein Satz, den ich nur zu oft von meiner Elterngeneration gehört habe, wenn ich sie auf ihre eigentlichen, wirklichen Träume oder Meinungen angesprochen habe, die sie mir nur unter vorgehaltener Hand mitteilen wollten.

Auch ich bin von dieser Denkweise betroffen, allerdings weniger was gesellschaftliche Normen angeht, sondern mehr was die Zustimmung meiner Eltern betrifft. Besorgt darüber, was sie denn denken könnten, habe ich mich seit ich denken kann an ihre Vorstellungen angepasst und versucht, ihrem Ideal zu entsprechen. Ein Verhalten, das vielleicht viele von sich kennen, da jedes Kind das Bedürfnis nach Anerkennung und Sichtbarkeit hat, welches es so zu befriedigen versucht. Doch irgendwann in seinem Leben kommt jeder Mensch an den Punkt, an dem er sich ernsthaft fragen muss, ob das eigene Verhalten wirklich noch den Nutzen bringt, den wir uns davon erhoffen. Sind die gesellschaftlichen Normen denn wirklich noch zeitgemäß, wenn sie überhaupt in dem Maße existieren, in dem wir sie wahrnehmen? Sind wir wirklich so sehr von der Bestätigung von außen abhängig, dass wir unsere wirklichen Träume unterdrücken sollten, nur um in ein bestimmtes Schema zu passen? Für manche mag dieses Schema ja durchaus zu den eigenen Werten passen und das ist auch vollkommen in Ordnung - es steht jedem frei, wie er oder sie sein Leben verbringen möchte. Doch für all jene, die keine “klassischen” Lebensträume, Hobbys oder andere Vorstellungen haben, haben es definitiv schwieriger, diese auch auszuleben.

Und doch möchte ich jeden, der diese Zeilen ließt, dazu ermutigen, seinem Herz zu folgen. Wer bestimmt, ob ein Leben gut ist oder nicht? Wer bestimmt, wie man zu leben hat? Sind diese Regeln wirklich in Stein gemeißelt und ist man ein schlechter Mensch, wenn man einen anderen - seinen eigenen Weg - wählt? Ich glaube, auch wenn einem vielleicht von außen dieses Gefühl vermittelt wird, dass jeder seinen eigenen Weg gehen sollte, egal auf wie viel Widerstand man dabei stoßen mag. Jeder Mensch lebt sein eigenes Leben und darf selbst darüber verfügen, was er oder sie tut oder bleiben lässt - und es wäre sehr schade, wenn man sich nur aus Angst vor Ablehnung selbst dieser Möglichkeit berauben würde. Am Ende des Tages leben wir nämlich nur einmal und wenn wir uns am Ende dieses Lebens die Frage stellen müssen, warum wir uns nicht treu geblieben sind, dann wäre das nicht nur schade, sondern auch sinnlos - denn niemand verbringt so viel Zeit mit sich wie man selbst. Es mag abgedroschen klingen, doch jeder Mensch ist einzigartig, auch was seine Vorlieben, seine Bedürfnisse, Stärken, Schwächen usw. betrifft. Da ist es kein Wunder, dass manche Menschen sich ähnlicher sind als andere, dass manche sich in größeren Gruppen zusammenfinden und andere vielleicht weniger Gleichgesinnte haben. Aber wer nur deshalb, weil er zur größeren Gruppe gehört, dass Recht für sich beansprucht, sich selbst als “normal” zu bezeichnen, spricht auch seinen Gleichgesinnten ihre Einzigartigkeit ab - denn auch sie werden sich wesentlich von ihm unterscheiden. Auch sie sind “anders”. Aber warum muss das etwas Schlechtes sein? Warum sollte es uns mehr wert machen, wenn wir eher “wie alle anderen” sind? Wir alle kommen aus unterschiedlichen Hintergründen und unsere Lebensgeschichten sind wie unsere Fingerabdrücke alle verschieden - warum erwarten wir also von uns, am Ende in ein Schema zu passen, was unseren Kleidungsstil, unsere Hobbys oder unsere Lebensweise betrifft?

Aus eigener Erfahrung kann ich zwar auch sagen, dass es sich manchmal sicherer anfühlt, mit dem Strom zu schwimmen, sich nicht abzuheben und anzupassen. Gerade in einem gewissen Alter, in dem Zugehörigkeit zu einer Gruppe eine so wichtige Rolle spielt, passen sich viele Menschen an - einfach weil die Gemeinschaft in diesem Lebensabschnitt wichtiger ist als die Sache selbst, die man vielleicht unternimmt. Doch in den meisten Fällen zerstreuen sich diese Gruppen wieder und jeder einzelne ist dann dazu angehalten, seinen eigenen Weg zu finden. In dieser Situation sich dann an andere “Normen” zu klammern, ist zunächst einmal ganz natürlich und kann einem Sicherheit geben, weil man dafür “Anerkennung" bekommt oder zumindest in Ruhe gelassen wird. Doch es dabei bleiben zu lassen, ohne sich jemals der (zugegeben unangenehmen, weil sehr konfrontativen) Frage zu stellen, was man selbst eigentlich wirklich vom Leben möchte, fände ich schade. Man muss darauf auch nicht immer sofort eine Antwort finden und vielleicht passt der “gesellschaftlich akzeptierte” Weg auch gut zu einem, das ist natürlich genauso möglich. Doch was ich betonen möchte, ist, dass auch, wenn die eigene Vorstellung vom Leben vielleicht von der “Norm” abweicht, diese genauso eine Daseinsberechtigung hat wie alle anderen. Und jeder darf selbst einen Weg finden, diese für sich so umzusetzen, wie es für ihn selbst passt. Nur ein kleines Beispiel: Manche Menschen sind selbstständig, andere haben lieber fixe Arbeitszeiten, manche vereinen beides. Manche Menschen sind in den frühen Morgenstunden am produktivsten, andere hingegen werden gegen Abend hin immer konzentrierter und effizienter. Glaubt man nun den Sprichwörtern, dass der “frühe Vogel” den Wurm fängt und am Abend nur “der Faule fleißig” wird, so wird klar, wie dieses Thema gesellschaftlich bewertet wird. Aber wenn man etwas über den Tellerrand bzw. die Landesgrenzen hinausschaut, so wird einem bewusst, dass beispielsweise in Spanien und Italien eine ganz andere Mentalität herrscht und die Menschen damit auch gut zurechtkommen. Warum sollte eine “Nachteule” sich also ihr Berufsleben lang dazu zwingen, wider ihrer Natur früh aufzustehen und von 9 bis 5 im Büro zu sitzen, wo ein Job mit flexibleren Arbeitszeiten, bei dem sie auch in den Abendstunden ihre Aufgaben erledigen kann, doch viel besser zu ihr passen würde.

Jeder Mensch ist anders, doch insgesamt denke ich, dass wir uns alle ziemlich gut ergänzen. Für jeden von uns gibt es eine Aufgabe und für jeden von uns gibt es einen Platz - und zwar genau so, wie wir sind und nicht anders. Wir müssen nur den Mut haben, dazu zu stehen und für UNS selbst und niemanden sonst zu leben.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern, die vielleicht manchmal an sich oder ihrem Weg zweifeln, weil ihnen von verschiedenen Seiten davon abgeraten wird, ganz viel Kraft und eine starke Verbundenheit mit sich selbst, damit sie ihr eigenes Leben nach den eigenen Vorstellungen und Werten gestalten können.

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