#2 - Glaubenssätze, Introjekte und wie sie entstehen
In dieser Folge geht es um ein Thema, mit dem ich mich lange und intensiv auseinandergesetzt habe, auch um mir selbst darüber klar zu werden, warum ich so denke, wie ich denke. Ich hoffe, du verstehst nach dem Hören dieser Episode auch besser, wie du selbst tickst oder bekommst einen Denkanstoß, darüber zu reflektieren, was deine heutige Wahrnehmung und dein heutiges Denken geprägt hat. Denn auch wenn wir negative Einflüsse aus der Vergangenheit nicht ungeschehen machen können, so habe ich die Erfahrung gemacht, dass alleine die Einsicht schon sehr entlastend sein kann und ich hoffe, dass das auch bei dir der Fall ist.
Glaubenssätze müssen nicht von vornherein schlecht sein, doch meistens werden sie in der Psychologie als Konzept verwendet, das erklären soll, warum wir uns selbst im Weg stehen, schlecht über uns denken oder einen geringen Selbstwert besitzen. Man könnte deshalb auch von negativen Glaubenssätzen sprechen. Es handelt sich dabei um Grundannahmen und Überzeugungen, die wir in uns tragen und die so tief in unserem Unbewussten verankert sind, dass wir uns ihrer Wirkung meist gar nicht bewusst sind. Da sie unser Denken so fundamental prägen, kommen wir von alleine auch meistens nicht auf die Idee, ihre Gültigkeit oder ihren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen, sondern gehen eher davon aus, dass auch andere Menschen gleich denken und es sich sozusagen um “ungeschriebene Gesetze” handelt.
Doch diese Gesetze haben wir nicht von Geburt an in uns, sondern wir entwickeln sie, und zwar vor allem in einer Zeit, in der wir noch nicht einmal richtig denken können. In der Neurologie und Entwicklungspsychologie geht man davon aus, dass vor allem die Zeit der Schwangerschaft sowie die ersten drei Lebensjahre, in denen sich unser Gehirn am schnellsten entwickelt, am prägendsten für die menschliche Psyche sind. In dieser Phase sind wir als Kleinkinder am sensibelsten, da wir noch nicht über die geistige Möglichkeit verfügen, unsere Emotionen zu regulieren oder überhaupt zu verstehen, was mit uns passiert. Nicht ohne Grund erinnern wir uns später kaum an diese Zeit, da unser Gehirn wort-wörtlich noch “in den Kinderschuhen” steckte und noch nicht über die Fähigkeiten verfügte, die es im ausgereiften Zustand besitzt. Aus diesem Grund sind Babys in dieser Phase am meisten von ihren nächsten Bezugspersonen abhängig, und zwar nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern vor allem auch auf emotionaler. Gleichzeitig ist die Psyche eines Babys mangels Coping-Möglichkeiten auch am anfälligsten für Störungen, wenn es in diesem Alter Stress oder anderen Belastungen ausgesetzt ist. Was für einen Erwachsenen vielleicht als kaum nennenswertes Ereignis in Erinnerung bleibt (oder auch nicht), kann für ein Baby eine subjektiv lebensbedrohliche Situation sein. Wenn man zum Beispiel, wie früher öfter praktiziert, ein Baby durch “Erziehung” dazu bringen will, weniger zu schreien, indem man es schreien und sich selbst beruhigen lässt, so erreicht man damit das genaue Gegenteil. Denn an dem Punkt, an dem das Neugeborene verstummt, hat es sich keineswegs beruhigt, es befindet sich eher in einer Ausnahmesituation und ist mit Angst erfüllt. Der einzige Grund, warum es nicht mehr schreit, ist Resignation, weil es denkt, dass ohnehin niemand kommt, um sein Leid zu lindern. Die Botschaft, die es dabei verinnerlicht, ist gleich fatal wie falsch: “Ich bin nicht wichtig. Ich werde nicht gesehen. Ich werde nicht geliebt.” Was für Erwachsene eine “überzogene Reaktion” wäre, ist für solche Babys der einzige Weg, sich ihre Situation zu erklären und sie auszuhalten. Denn noch bedrohlicher wäre es, wenn das Baby verstehen würde, dass es sich auf eine Bezugsperson nicht verlassen kann, wo es doch auf deren Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit angewiesen ist, denn dieses Szenario wäre existenzgefährdend.
Was beispielsweise durch solche Situationen entsteht, ist eine Grundannahme des Babys, eine Überzeugung, die später zu einem Glaubenssatz werden kann. Natürlich reagieren manche Babys sensibler als andere und ein einzelnes Ereignis macht noch keinen negativen Glaubenssatz. Doch je öfter solche Dinge vorkommen, je mehr die Bezugspersonen (emotional) nicht für ihr Kind verfügbar sind, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich so eine Annahme in das Unbewusste des Heranwachsenden einbrennt.
Im späteren Leben sieht dieser Mensch die Welt dann wie durch eine Brille, die die Realität regelrecht verzerrt. Auch, wenn das Gehirn später die Fähigkeit besitzt, neue Situationen anders zu bewerten, so wird die Wahrnehmung und Interpretation verschiedener Ereignisse doch maßgeblich auch durch die verinnerlichten Glaubenssätze geformt. Menschen, die also in ihrer Kindheit emotional behütet und beschützt waren (zumindest die allermeiste Zeit), führen unglückliche Ereignisse oder einen Streit nicht automatisch auf ihre eigene Unzulänglichkeit zurück - was mit diesem verinnerlichten negativen Selbstbild eher der Fall ist.
Ich hoffe, du kannst aus dieser Podcast-Folge etwas für dich persönlich mitnehmen und wünsche dir ein anregendes Zuhörerlebnis und alles, alles Gute! Jakob