Abgrenzung Teil 1: Leistung

Heute soll es um ein Thema gehen, welches mich - so wie viele andere wahrscheinlich ebenfalls - tagtäglich begleitet und vermutlich für viel mehr subjektives Leid sorgt, als wir uns oft bewusst sind - nämlich die Vergleiche, die wir zu anderen Menschen bewusst und unbewusst durchführen und dabei meist nicht so gut aussteigen.

Warum ist Person X/Y so schlank/definiert/muskulös?

Was muss ich tun, um meinen Traumkörper in Form des Vorbilds Z zu bekommen?

Was mache ich falsch, dass ich noch nicht so viel verdiene und so erfolgreich bin wie andere?

Warum sind meine FreundInnen so glücklich und ich kann es im Moment nicht sein?

Macht es andere wertvoller als mich, wenn sie schon mehr erreicht haben als ich?

Warum scheinen manche Menschen scheinbar mühelos alle Herausforderungen des Lebens so meisterhaft und ich nicht?

Doch diese und weitere Gedanken sind nicht nur hinderlich und falsch, sondern rauben auch alle Lebensfreude, weil wir uns nie gut genug, schön, stark oder erfolgreich genug fühlen werden. Doch das können wir auch aktiv tun, indem wir uns von den überhöhten Erwartungen lösen und darauf besinnen, wer wir selbst sind. Natürlich können wir uns manches Mal nach etwas sehnen, was Person X oder Y besitzt, erreicht hat oder was sie oder er für ein Glück hat. Aber langfristig dürfen wir uns davon distanzieren und müssen uns nicht länger ihnen unterlegen fühlen. Jeder Mensch hat schließlich seinen eigenen Weg zu finden und dabei höchst unterschiedliche Voraussetzungen. Was wir selbst daraus machen, bleibt natürlich uns selbst überlassen, dennoch bewegt sich dies meistens in einem bestimmten Rahmen - durch unsere Erfahrungen, Gene und Erlebnisse beeinflusst und limitiert. Anstatt aber den Hauptfokus darauf zu legen, was uns denn alles NICHT gelingt, was wir noch nicht haben oder zu resignieren, haben wir eine Alternative. Wir dürfen uns darauf besinnen, was wir schon erreicht haben und ganz bewusst auch stolz auf uns sein. Zu glauben, dass jeder Mensch zu 100% seines eigenen Glückes Schmied ist, kann zwar ermutigen, sein Bestes zu geben, im Umkehrschluss aber auch ein Versagen bedeuten, wenn man nicht alles erreicht, was man sich in den Kopf setzt. Doch das ist nicht der Fall. Jene Menschen, mit denen wir uns heute in den sozialen Medien vergleichen, geben kein realistisches Bild davon ab, was wir erreichen können/müssen. Instagram und Co. sind ein Tummelplatz der Ausnahmen, der Extreme in Errungenschaften und gesunden Lebensstilen, wobei jeder auch ein bisschen Geld damit machen möchte. Und wie der Mensch so funktioniert, vergleicht er sich unbewusst automatisch mit den Besten, die ihm auch dort das Versprechen geben, das gleiche für sich erreichen zu können.

In den sozialen Medien gibt es zahlreiche Motivationscoaches, die propagieren, dass man alles schaffen kann, wenn man es nur genug “will”. Der Begriff “Hustle Culture” prägte eine ganze Generation, in der Workaholics gepriesen wurden und Überstunden ein Maß für das Ansehen eines Betriebsmitarbeiters waren. Auch heute ist das Verlangen, sein “Potenzial” auszuschöpfen und etwas zu bewirken bei jungen Menschen nach wie vor hoch im Kurs - wie es immer schon war. Nur scheint es heute vergleichsweise simpel, ein Unternehmen aufzubauen, viele Menschen zu erreichen und erfolgreich zu sein. Es gibt genügend Beispiele für die unglaublichen Möglichkeiten, die sich durch das Internet ergeben haben, etwa Billie Eilish, die berühmte Sängerin, die mehr oder weniger binnen Monaten vom No-Name zum Weltstar aufstieg - und das durch Musik, die ihr Bruder im Kinderzimmer zuhause produzierte. Unweigerlich stellt man sich beim Lesen solcher Erfolgsgeschichten - die ebenfalls durch das Internet verbreitet werden - die Frage, warum man selbst noch in so bescheidenen Verhältnissen lebt. Muss man sich nur mehr anstrengen? Ist man vielleicht zu schwach oder nicht gut und wertvoll genug?

Was unser oft zu schnell schlussfolgerndes Gehirn dabei aber übergeht, sind die so vielfältig sich voneinander unterscheidenden Voraussetzungen, unter denen wir ein Unternehmen in Angriff nehmen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch Dinge erreichen könnten, die wir nicht für möglich gehalten hätten, allerdings sollten wir uns dabei von dem Gedanken verabschieden, dass dies am Ende der Sieg in der Tour de France oder ein Millionenkonto sein werden. Doch das muss es auch nicht. Jeder Mensch ist wertvoll, wie er ist und genau richtig mit allen Stärken und Schwächen, Fähigkeiten und Macken. Und jeder Mensch muss seinen ganz eigenen Weg gehen. Keine Methode ist dabei “besser” oder schlechter und was wir tun und erreichen ändert unseren Wert als Person weder im Positiven noch im Negativen. Wenn wir also dazu tendieren, uns zu vergleichen, dürfen wir von diesen Gedanken und Menschen ganz bewusst Abstand nehmen und uns von deren Leben abgrenzen - schließlich wissen wir nicht, ob der erfolgreiche Manager oder der beste Sportler seiner Disziplin auch wirklich glücklich damit sind. Das einzige, was wir wirklich in der Hand haben, sind unsere eigenen Taten und Bemühungen, unsere Gedanken und Taten. Und wenn wir stets unser Bestes geben, dann haben wir uns - ganz egal was das Ergebnis letzten Endes sein wird - uns nicht das Geringste vorzuwerfen. Und wir müssen unsere Errungenschaften nicht mir anderen vergleichen - denn wir sind auch so in Ordnung, wie wir sind.

Und das ist auch das Wichtigste, dass ich dir am Ende mitgeben möchte. Jeder Mensch ist anders und hat, abhängig von seinen Erfahrungen, Vorbelastungen, seiner Genetik, seiner aktuellen Situation und vielen, vielen weiteren Faktoren andere Voraussetzungen und andere Kapazitäten, um “Leistung” zu erbringen. Das wirkt sich im Endeffekt sowohl darauf aus, wie das “Endresultat” aussieht, aber auch darauf, wie viel näher man diesem Ziel in einer bestimmten Zeit kommen kann. Jemand, der täglich 8 Stunden konzentriert arbeiten kann (was so gut wie nie wirklich der Fall ist) ohne auszubrennen, wird sein Ziel am Ende logischerweise schneller erreichen als jemand, der sich nur für 4 Stunden wirklich gut konzentrieren kann - aber das ist okay. Niemand ist deswegen “mehr wert” oder in irgendeiner Art und Weise eine bessere Person, wenn er mehr leistet. Es geht nicht darum, der Beste zu sein, sondern viel mehr darum, seine eigene beste Version zu werden. Und mit “besser” meine ich nicht produktiver, leistungsfähiger oder stärker, sondern näher an der authentischsten und ehrlichsten Version unserer selbst, die im Einklang mit unseren Werten handelt, gut mit sich selbst umgeht und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten ihr Bestes gibt - egal, wie das von Tag zu Tag variiert und aussieht. Denn am Ende des Lebens gibt es keine Auszeichnung für die meisten Überstunden, die wenigsten Pausen oder die grenzwertigsten Arbeitswochen, die einen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs führen. Am Ende zählt nur, ob wir unseren Werten treu geblieben sind und wer wir waren - und das geht sehr weit über die Leistungsdimension hinaus.

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Was schulde ich anderen?