Süßstoffe
Jeder, der sich schon einmal intensiv mit seiner Ernährung auseinandersetzt hat - ob nun aus gesunden oder weniger gesunden Motiven - ist vermutlich schon einmal über das umstrittene Thema Süßstoffe gestolpert. Sie ersetzen in Light-Getränken, zuckerreduzierten Joghurts und Proteinpulvern den zugesetzten Zucker, der ja unumstritten eines der größten Ernährungsprobleme unserer Zeit ist und Übergewicht, Diabetes und andere metabolische Erkrankungen, die immer weiter zunehmen, mitbedingt. Vermeintlich sind Süßstoffe die perfekte Alternative: meist nahezu kalorienfrei können sie unsere Lieblingsprodukte so schmecken lassen, wie wir es kennen und lieben, ohne dabei die negativen Auswirkungen auf unsere Gesundheit zu haben, wie sie der Industriezucker mitbringt. Allerdings tauchten in den vergangenen Jahren Studien auf, die Süßstoffkonsum mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung brachten, was einige vehemente Gegner der künstlich hergestellten Substanzen wie Aspartam, Acesulfam K etc. auf den Plan rief, die in der Folge jede Art von Süßstoffkonsum verteufelten. Zeitweise bekam man den Eindruck, die bis zu 200x so süß wie Zucker schmeckenden Zusätze, die heute in vielen Lebensmitteln eingesetzt werden, seien noch viel schädlicher als der Zucker selbst, den sie ersetzen sollten. Doch auch diese Darstellung konnte inzwischen widerlegt werden. Wenn der Konsum nicht exorbitante Mengen erreicht, so die Schlussfolgerungen zahlreicher Studien, so könne man Süßstoffe auch nicht mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung bringen. Also bleiben Süßstoffe eine beliebte Alternative, um Kalorien zu sparen und seine metabolische Gesundheit zu verbessern - darauf setzen zumindest zahlreiche “Fitnessfood”-Marken, die Geschmackspulver und -sirups auf den Markt bringen und damit werben, dass diese bedenkenlos und “ohne schlechtes Gewissen” eingesetzt werden könnten. So soll es möglich sein, Eiscreme und andere Produkte, die man nicht primär mit einer Diät assoziieren würde, auch während einer solchen essen zu können, ohne den Erfolg derselben zu gefährden.
Jedoch bleibt der Konsum auch in Bodybuilding-Kreisen sehr umstritten. Das eine Lager sieht den Konsum wegen potenziellen Auswirkungen auf die Verdauung kritisch, andere schwören sowieso auf nur unverarbeitete Nahrungsmittel und verwenden Geschmackspulver und Co. nicht, weil sie nicht “clean” sind. Für Menschen, die vielleicht eine Vergangenheit mit einer ungesunden Beziehung zum Essen allgemein hatten, ist das Thema auch zwiegespalten: Einerseits stellen Süßstoffe den vermeintlich “perfekten” Ausweg dar, bedenkenlos wieder einmal ein richtig gutes Joghurt oder Eis zu essen, auf der anderen Seite neigen viele dieser Menschen auch dazu, es schnell zu übertreiben und immer mehr Süßstoffe zu verwenden, da dies ja keine Konsequenzen für ihr “Kalorienkonto” hat.
Wie also umgehen mit den Süßstoffen, die potenziell viele Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringen könnten? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es offensichtlich tieferer Überlegungen als der reinen Kalkulation, dass es sicher “gesünder” ist, Zucker einfach zu ersetzen und den Rest gleich zu lassen. Denn dadurch, dass der Konsum ohne “Auswirkungen” bleibt, bekommt er - besonders bei (ehemals) Essgestörten oder Personen, die nicht immer ein unbelastetes Verhältnis zu Essen, Diäten etc. hatten - eine psychologische Dimension. Weil warum dann nicht immer öfter und immer mehr Süßstoffe verwenden und sich endlich alles erlauben, was man so lange vermeiden musste?
Offensichtlich kann auch dieser Ansatz - für Verdauung, aber auch die psychische Gesundheit (irgendwann entwickelt man eine gewisse Toleranz und vielleicht sogar eine Abhängigkeit) - nicht langfristig zielführend sein. Deswegen halte ich - wie in den meisten Fällen - ein gesundes Mittelmaß für den gewinnbringendsten Ansatz. Süßstoffe zu verteufeln und als “künstlich” darzustellen oder aus anderen Gründen ganz zu vermeiden, ist absolut nicht notwendig. Man muss sich - auch während einer Diät - das Leben nicht schwerer machen, als es ist und Süßstoffe als Tool einzusetzen, um die Nahrungsmittel, die man zu sich nimmt, schmackhafter zu machen, halte ich weder für verwerflich noch undiszipliniert, sondern völlig legitim. Nicht zuletzt kann genau dieser Faktor - ob das Essen schmeckt oder nicht - ausschlaggebend dafür sein, ob eine Diät scheitert oder nicht, ob eine bewusstere Ernährung langfristig funktionieren kann oder nicht. Nur wenn der Süßstoffkonsum immer neue Ausmaße annimmt, sodass irgendwann auch die Verdauung und die Psyche Schaden nehmen, weil normales Obst nicht mehr “süß genug” schmeckt und alles, was nicht eine Geschmacksexplosion auslöst, zur Enttäuschung wird, dann sollte man den eigenen Konsum vielleicht hinterfragen. Es kann durchaus sinnvoll sein, in solchen Fällen die Lightgetränke etc. zu reduzieren und den “richtigen” Geschmack unverarbeiteter Lebensmittel wieder schätzen zu lernen. Schließlich dient in der Natur der süße Geschmack ja auch dazu, dem Menschen zu zeigen, dass ein Lebensmittel Energie enthält und gut für ihn ist, was bei Süßstoffen nur nachgeahmt wird. Doch ganz auf Süßstoffe zu verzichten, halte ich dann ebenfalls wieder für übertrieben.
Warum sich nicht die positiven Eigenschaften zunutze machen und seine Ernährung - trotz eingeschränktem Energie- und Zuckergehalt - schmackhaft gestalten, um längerfristig “dranzubleiben”? Schließlich hat die Alternative - der Zucker selbst - sicher besser belegte negative Auswirkungen und ist der Grund für eine Epidemie von Diabetes, Übergewicht und anderen Stoffwechselerkrankungen - obwohl er vermeintlich “natürlicher” ist.