Abnehmspritzen und ihre Tücken
In den letzten Jahren erlebten Ozempic®, Wegovy® und andere als “Abnehm-Spritzen” vermarktete Produkte einen regelrechten Hype. Viele Celebrities teilten ihre Erfahrungen mit den Medikamenten zur Gewichtsreduktion und inzwischen sind diese auch in der breiten Bevölkerung angekommen und werden in den sozialen Medien hymnisch gelobt. Doch sind diese Wirkstoffe tatsächlich das “Wundermittel” im globalen Kampf gegen Übergewicht, wie sie von ihren Herstellern angepriesen werden? Wie wirken sie überhaupt und was sind potenzielle Nebenwirkungen? Und zu guter Letzt: Für welche Zielgruppe sind sie eigentlich geeignet und haben sie auch Nachteile? Alle diese Fragen möchte ich im folgenden Artikel so gut es geht beantworten.
Wirkung und Nebenwirkungen
Alle Produkte, die derzeit auf dem Markt sind und in den Spritzen verwendet werden, enthalten gleiche oder einander sehr ähnliche wirksame Komponenten. Dabei handelt es sich zB um Semaglutid und andere GLP-1-Analoga, die im Körper eine erhöhte Konzentration des GLP-1-Spiegels simulieren und auch an die gleichen Rezeptoren binden wie das körpereigene Hormon mit dem Namen Glucagon-like-peptide-1. Dieses spielt vor allem in der Regulation von Hunger und Sättigung sowie des Blutzuckerspiegels eine Rolle. Während sein Gegenspieler, das Ghrelin, auch als das “Hungerhormon” bekannt ist, so wird GLP-1 vom Körper selbst produziert, um ein Gefühl der Sättigung auszulösen. Dabei wird ebenfalls die Magenentleerung verzögert, was ein “Völlegefühl” auslöst bzw. bei exogener Gabe simuliert. Patienten, die also ein GLP-1-Analogon spritzen, haben tatsächlich weniger Hunger und nehmen so ganz natürlich weniger Nahrungsenergie zu sich - aber nicht aus Zwang, sondern weil sie schlichtweg keinen Hunger haben oder bereits nach kleineren Portionen satt und zufrieden sind, was auch physiologisch durch obige Mechanismen erklärbar ist.
Eine weitere Wirkung des ursprünglich für Diabetiker entwickelten Wirkstoffs ist die Senkung des Blutzuckerspiegels, was für Patienten mit Insulinresistenz eine sehr wichtige und effektive Therapie darstellt. Zusätzlich unterstützt GLP-1 auch den Gewichtsverlust, was bei vielen Diabetes Typ 2-Patienten einen weiteren positiven Effekt auf deren Krankheitsverlauf und Symptome hat und sogar zu einer Besserung der metabolischen Gesundheit führen kann.
Während GLP-1 also den Hunger reduziert und dadurch kurz- und langfristig zu einer signifikanten Gewichtsabnahme führt (bei Übergewichtigen bis zu 20% des Körpergewichts) so umfassen Nebenwirkungen vor allem gastrointestinale Beschwerden wie etwa Übelkeit, Erbrechen oder ein flaues Gefühl im Magen. Darüber hinaus können im Zuge der Anwendung niedrige Blutzuckerspiegel auftreten, die bei ausbleibender medizinischer Intervention auch lebensbedrohliche Ausmaße annehmen können - das ist jedoch der Ausnahmefall und eher nur bei erstmaliger Anwendung oder Überdosierung zu erwarten.
Die Wirkung der GLP-1-Analoga ist auf den Anwendungszeitraum beschränkt, was bedeutet, dass das Hungergefühl nach Beendigung der adiuvanten Therapie zum Gewichtsverlust sich wieder normalisiert. Das ist leider eine schlechte Nachricht für Menschen mit Übergewicht, da der Jojo-Effekt, wie auch bei normalen Diäten, nicht verhindert werden kann. Um also langfristig von Ozempic® und Co. zu profitieren, wäre auch eine Dauergabe des Medikaments notwendig, welches in Österreich nur bei einem BMI >30 oder bei bestehenden Begleiterkrankungen des Übergewichts ab BMI >27 auf Rezept erhältlich ist. Doch eine solche Dauertherapie ist für nicht stark-übergewichtige/adipöse Menschen oder Diabetes-Betroffene bei monatlichen Kosten von über 500€ kaum erschwinglich und deshalb nicht gerade attraktiv. Die meisten Anwender geben auch nach höchstens einem Jahr aus Kostengründen oder wegen mangelnden Ergebnissen die Semaglutid-Therapie auf.
Zielgruppe und moralische Bedenken
Semaglutid und andere Wirkstoffe sind ganz klar Medikamente und sollten deshalb keineswegs als Lifestyle-Produkte verwendet werden. Es mag sein, dass sie auch den Erfolg kurzfristiger Diäten für den “Sommer-Body” durchaus durch ihre Wirkung unterstützen, von einem solchen Gebrauch ist jedoch aus medizinischer Sicht stark abzuraten. Zum Einen können diese, wie auch alle anderen Arzneimittel, potenziell gefährliche Nebenwirkungen haben, zum Anderen sind sie auch kein längerfristiges Wundermittel, welches eine gesunde Ernährung oder ausreichend Bewegung ersetzen könnte.
Bei stark übergewichtigen bzw. adipösen Patienten sowie Menschen, die an Diabetes mellitus Typ 2 leiden, können GLP-1-Analoga eine pharmakologische Unterstützung bei Gewichtsverlust und Blutzuckerregulation darstellen, jedoch erfolgt auch hier die Therapie ganzheitlicher und nicht nur durch das alleinige Spritzen von Semaglutid. Auch wenn bei diesen Menschen eventuell eine Indikation für eine langfristige Gabe der Medikamente besteht, um sie vor dem Jojo-Effekt zu bewahren, so sollte das Endziel jeder Therapie weiterhin darin bestehen, eine so weit gehende Veränderung des Lebenswandels zu erwirken, die die Anwendung von Ozempic® und Co. obsolet macht. Dazu gehören neben einer Verhaltens- und Bewegungstherapie auch eine ganzheitliche Ernährungsberatung bzw. -umstellung.
Für nicht klinisch bedenklich übergewichtige Menschen, die ein Semaglutid rein aus ästhetischen Zwecken anwenden möchten, ist die Anwendung hingegen alles andere als unbedenklich. Neben den potenziellen Nebenwirkungen sollte sich unsere Gesellschaft deshalb auch mit dem immer noch vorherrschenden Schönheitsideal des Schlankseins auseinandersetzen. Gerade soziale Medien befeuern die Unsicherheit vieler Jugendlicher heute täglich und unter teilweise bedenklichen Hashtags werden Botschaften verbreitet, die einem das Gefühl geben, dass der eigene Wert vom äußerlichen Aussehen abhängt. In diesem Zusammenhang werden leider auch Semaglutide immer wieder als “Wundermittel” angepriesen und so gratis vermarktet, was besonders für solche Botschaften anfällige Zielgruppen verunsichern kann. Hier bedarf es einer lückenlosen Aufklärung der Betroffenen über diese Medikamente - einmal ganz abgesehen davon, dass die Verbreitung des Glaubens, als schlanker Mensch “mehr wert” zu sein, bedenklich genug ist.
Fazit
Semaglutide sind wirksame Medikamente, die durch eine Simulation des Sättigungs- und Völlegefühls einen signifikanten Gewichtsverlust bei Anwendern hervorrufen. Außerdem unterstützen sie Diabetiker maßgeblich bei deren Blutzuckerregulation. Allerdings handelt es sich nach wie vor um verschreibungspflichtige Medikamente, die auch schwerwiegende Nebenwirkungen haben können. Die Anwendung sollte deshalb nur auf ärztliche Anweisung und unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.
Denn neben den potenziellen Nebenwirkungen ist auch die Wirkung auf den Anwendungszeitraum beschränkt und bewahrt Patienten nicht vor dem Jojo-Effekt. Nicht nur deshalb ist ein Gebrauch als “Lifestyle”-Medikament stark zu hinterfragen. Während Ozempic®, Wegovy® und Co. für eine bestimmte medizinische Indikation als unterstützende pharmakologische Therapie sinnvoll sein können, so ist der private Gebrauch nicht nur sehr teuer, sondern auch die Motivation dahinter äußerst fragwürdig. Und es wäre schön, wenn wir langsam in eine Zeit kommen könnten, in der sich Jugendliche nicht mehr so von Schlankheitsidealen beeinflussen lassen müssten, dass sie sogar dazu bereit sind, für ihre Diät sich Medikamente zu spritzen.