Emotionales Essen

Essen kann ein wunderbarer Bestandteil unseres Lebens sein - Essen ist verbunden mit Genuss, Gesellschaft, es gibt uns Energie und versorgt uns außerdem mit allen Nährstoffen, die wir für eine gute körperliche und mentale Gesundheit benötigen. Außerdem kann uns die richtige Ernährung auch dabei helfen, Krankheiten vorzubeugen oder Symptome zu lindern. Für viele Menschen ist Essen aber noch mehr als das: es ist Zeitvertreib, Belohnung (oder Bestrafung), tröstet oder füllt eine Lücke in ihnen, die zuvor - allerdings nicht durch zu wenig Essen, sondern aus anderen Gründen - entstanden ist. Hier neigen viele Menschen dazu, körperliche Bedürfnisse mit seelischen zu vermischen, wenn letztere nicht ausreichend erfüllt werden - man spricht auch von emotionalem Essen. Welches “Maß” an Emotionalität in Verbindung mit dem Essen normal ist und wann es potenziell ungesund wird, darum soll es in diesem Artikel gehen.

Wo hört Genuss auf und fängt “emotional eating” an?

In der Einleitung klingt die Beschreibung von Essen und dessen Verhältnis zu Emotionen etwas widersprüchlich: Auf der einen Seite sei “emotionales” Essen nicht gut für uns, auf der anderen Seite ist doch Essen nahezu immer mit Emotionen verbunden. Sei es ein entspanntes Dinner mit Freunden oder Familie, ein romantisches Date mit dem oder der Partner/in oder einfach der simple Genuss unserer Lieblingsspeise - wo Essen ist, sind Emotionen nicht weit. Und doch kann man klar unterscheiden, welche Art der Emotion in Verbindung mit Essen noch “gesund” oder förderlich sind und ab wann wir uns vielleicht fragen sollten, ob wir an unserer Einstellung zum Essen etwas ändern sollten.

Aus rein biologischer Sicht erfüllt Essen vor allem einen Zweck, nämlich den der Energie- und Nährstoffaufnahme, die unser Überleben und eine gute Entwicklung sichert. Wäre dies der einzige Nutzen, so könnten Menschen heutzutage auch über Infusionen oder Sonden ernährt werden, damit sie mehr Zeit für andere Dinge haben - doch Essen ist eben mehr als nur seine biologische Dimension. Die Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis und beim Verzehr von Lebensmitteln, die uns schmecken, werden Glückshormone freigesetzt, die uns ein gutes Gefühl geben. Besonders, wenn wir Speisen und Lebensmittel verzehren, die uns gut schmecken, können wir das, was uns Energie gibt, zusätzlich noch umso mehr genießen. Auch der soziale Kontext der Nahrungsaufnahme hat in der heutigen Zeit viel an Bedeutung gewonnen: Während in der Steinzeit Essen wirklich in erster Linie das Erfüllen eines Grundbedürfnisses war, so leben wir heute in einer Zeit des Überflusses, wo wir nicht mehr darum fürchten müssen, genug zum Überleben zu bekommen. Dafür wurde das Essen und viele Feste und Anlässe, die damit verbunden sind, kultiviert und Essen ist Teil von fast allen größeren und kleineren Feierlichkeiten. Auch ein Treffen mit alten Freunden wird oft mit einem Mittag- oder Abendessen verbunden, da es davor, währenddessen und danach die Gelegenheit bietet, sich zu unterhalten und auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Alle diese Dimensionen der Nahrungsaufnahme sind zurecht sehr positiv besetzt, doch es gibt auch einige Emotionen darüber hinaus, die nicht mehr so gesund für uns sind.

Wenn das Essen nämlich zu einem Selbstzweck wird und zunehmend im Zentrum der Aufmerksamkeit eines Menschen steht, dann kann das darauf hindeuten, dass nicht mehr alles so glatt läuft, wie es sollte. Natürlich ist nichts falsch daran, gerne zu kochen, neue Rezepte auszuprobieren und sich diese so richtig schmecken zu lassen, sich über Essen auszutauschen und Tipps und Tricks für die Küche auszutauschen - Kochen kann schließlich ebenfalls ein Hobby sein. Wenn aber weder die Zubereitung, noch der soziale Rahmen, sondern immer mehr die Nahrungsaufnahme selbst nahezu obsessiv ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und ihr mehr Bedeutung zugeschrieben wird als anderen Lebensbereichen, kann das auf ein ungesundes Verhältnis zum Essen hindeuten. Menschen neigen dann nämlich dazu, viele Emotionen mit dem Essen zu verbinden und mit diesem nicht nur Emotionen zu regulieren, sondern sich auch zu belohnen oder zu bestrafen. Dies sind allerdings Funktionen, die die Nahrungsaufnahme nicht übernehmen kann und die von der psychischen Ebene ausgelagert wurden, um mit bestimmten unangenehmen Gefühlen nicht umgehen zu müssen. Ja, Essen kann uns ein gutes Gefühl verschaffen, allerdings sollte es nicht dafür genutzt werden, emotionale Tiefs zu überwinden, für die man sonst keinen Ausweg sieht. Auch Selbstwertprobleme, die sich im Essverhalten durch Restriktion äußern können, werden durch die (ausbleibende) Nahrungsaufnahme nicht gelöst, sondern nur weggeschoben. Das Essen kann hier, wie jedes andere Suchtmittel, ein emotionales oder seelisches Defizit ausgleichen oder überdecken - nur, dass es weniger auffällt, da ja jeder Mensch Nahrung zu sich nehmen muss, was bei Rauchen, Alkohol oder Drogen ja nicht der Fall ist. Essen fungiert hier also als Verdrängungsmechanismus oder auch als Ablenkung von den eigentlichen Problemen, die zu sehr schmerzen, um angesehen zu werden. Weil es ohnehin Bestandteil des Lebens aller Menschen ist und mit Einkaufen, Kochen, planen etc. auch einen gewissen Zeitaufwand erfordert, ist es ein oft unbemerktes, weil auch gesellschaftlich nicht so verpöntes Mittel, vor Schwierigkeiten im Inneren zu flüchten. Doch am Ende des Tages ist und bleibt Essen in erster Linie Nahrungsaufnahme - nicht mehr und nicht weniger.

Dieser neutral gegenüber zu stehen und Essen oder bestimmte Lebensmittel nicht als Belohnung oder Bestrafung anzusehen, zeugt davon, dass man ein sehr gesundes Verhältnis zum Essen hat, was allerdings wahrscheinlich nur sehr wenige Menschen von sich behaupten können. Denn nicht umsonst sind Diäten oft mit einer höchst emotionalen Komponente verbunden, die initial vielleicht sogar den Anstoß gibt, überhaupt zu starten und im Verlauf immer wieder dafür sorgt, dass Diäten scheitern. Nicht, weil diese Menschen zu undiszipliniert oder schwach wären, sondern weil sie es wie eine “Strafe” empfinden, ihre Nahrungsaufnahme einschränken zu müssen und deshalb dagegen rebellieren. Natürlich kann es sein, dass auch ihr Körper ihnen vermehrt Hungersignale schickt, doch die mentale Komponente spielt hier ebenfalls eine sehr große Rolle, denn wäre Essen nicht so sehr mit Emotionen verknüpft, würde etwas mehr oder weniger desselben nicht so einen großen Unterschied machen. Das wäre dann etwa so, wie wenn man statt 3 eben nur 2 Infusionen angehängt bekommen würde - was einem wahrscheinlich nicht einmal auffallen würde.

Fazit

Essen darf uns durchaus Freude bereiten und mehr als “nur Nahrungsaufnahme” sein. Es ist etwas Schönes, sich auf ein gutes Essen zu freuen oder in guter Gesellschaft ein Restaurant zu besuchen, ein neues Kuchenrezept auszuprobieren oder ganz einfach die eigene Leibspeise zu genießen. Essen kann aber auch dazu “missbraucht” werden, andere Probleme zu überlagern und zu verdrängen, indem wir uns zu sehr darauf fokussieren und es dazu benutzen, tagesabhängig unsere Gefühle zu regulieren, uns zu “belohnen” oder zu “bestrafen”. Wenn dies der Fall ist, dürfen wir neugierig sein, welche (emotionalen) Bedürfnisse oder Defizite vielleicht hinter diesem Verhältnis zum Essen stehen und ihnen auf den Grund gehen. Denn am Ende des Tages ist Essen auch in erster Linie “nur” Nahrungsaufnahme, und wird kein emotionales Problem lösen können.

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